Programm
Feliz Anne Macahis: Guryon — Klanginstallation zum Catalogue d'oiseaux (UA) Olivier Messiaen: Catalogue d'oiseaux (1958) — IV (Le Traquet Stapazin) - Textcollage - John Pax: Wheatear (UA) - Textcollage - Jamilia Jazylbekova: La Langue des Oiseaux (Hommage à Messiaen) (UA) - Textcollage - Olivier Messiaen: Catalogue d'oiseaux — XII (Le Traquet rieur) - Textcollage - Jieun Jun: Catalogue d'(catalogue d'(oiseaux)) (UA) - Textcollage - Petros Leivadas: Consider the Birds (UA) - Textcollage - Olivier Messiaen: Catalogue d'oiseaux — XIII (Le Courlis cendré) Ashley Hribar, Klavier Henning Hartmann, Sprecher Sandra Bezler, Sprecherin Volker Bürger, Szenische Einrichtung und Textcollage Joachim Heintz und Gabriele Sand, Textsammlung und Konzeption Welche Blicke können wir heute auf Olivier Messiaens Catalogue d'oiseaux werfen? Auf die Natur, die merkwürdigen Landschaftsszenarien ebenso wie die transformierten Gesänge der Vögel, nach Messiaen die „größten Meister des musikalischen Ausdrucks“? Auf die Situation Mitte der 1950er Jahre, die Messiaen fast zu zwingen schien, sich einer „neuen Einfachheit“ zuzuwenden? Was interessiert junge Komponistinnen und Komponisten, wenn sie sich heute, auf unsere Einladung hin, mit dem Catalogue befassen? Was reizt sie, woran knüpfen sie an, was kommentieren sie? Diese Fragen bilden den Hintergrund des Abschlusskonzerts des „Klangbrücken“-Festivals. Der Ort, das Sprengel Museum Hannover, ist dabei mit Bedacht gewählt. Hier, wo zeitgenössische bildende Kunst gezeigt wird, mag man vielleicht von selbst an die Symbolik von Vögeln etwa bei Messiaens malendem Zeitgenossen Max Ernst denken. So verbindet denn die das Programm durchziehende Textcollage auch den schnabelmax, einen tiefgründigen Text Ernsts, mit Äußerungen Messiaens und der Vogelpredigt des Franz von Assisi. Sie schafft so einen Assoziationsraum, vermittelt manche Hintergründe zum Catalogue, ohne doch dessen momenthafte, freie Musik auf eine biografische Situation zu reduzieren. Um Berührungen, um Kontakt, um Anknüpfungen, um Reaktion geht es auch bei den fünf Uraufführungen, die die HGNM für dieses Konzert in Auftrag gegeben hat. Eingerahmt wird das Konzert von der Klanginstallation Guryon von Feliz Anne Macahis. (Im philippinischen Tagalog heißt Guryon „Papierdrache“, eröffnet aber gleichzeitig eine Assoziation zum spanischen Gorrion, das „Spatz“ bedeutet.) Die zu Beginn und Ende des Konzerts zu hörende Installation stellt einen „Wald“ aus elektronischen Klängen den realen Vogelklängen gegenüber und bringt diese in eine Interaktion. Ihr Ziel, sagt Macahis, sei in gewisser Weise ein Rückgang auf die Situation, in der Messiaen sich befand, als er den Gesang der Vögel in seine Musik aufnahm und transformierte: My goal is for people to have a bit of experience and/or perception of what could have come to Messiaen's mind when he heard the bird calls. How would they react? How could these sounds be transported into something creative? Die übrigen vier Auftragskompositionen begegnen Messiaens Catalogue gleichsam Auge in Auge, indem sie sich auf das Klavier beschränken. Der australische Komponist John Pax knüpft direkt an den zu Beginn des Konzerts erklingenden Traquet Stapazin (Steinschmätzer, englisch Wheatear) Messiaens an. Er nimmt zwei kurze Zitate aus Messiaens Stück zum Ausgangspunkt verschiedener Transformationsprozesse, die insgesamt bei aller Komplexität einen improvisatorischen Eindruck hinterlassen. Jamilia Jazylbekova fügt dem kleinen Traquet rieur einen ganz anderen Vogel ihrer Heimat Kasachstan hinzu. Ihr Interesse gilt dabei dem Kontrast zwischen dem Gesang des kleinen Vogels Traquet rieur, der aus kurzen Strophen besteht, und dem langatmigen Flug des Adlers. Außer der Musikalität und Klanglichkeit des Gesangs interessieren mich auch andere Qualitäten des Vogels wie das Fliegen, Raumempfinden und dessen soziale Bedeutung. Der Adler in Kasachstan ist ein majestätischer Vogel, der in den azurblauen Himmel fliegt, der Vogel, dessen Anblick ein Gefühl der Freiheit gibt, eine Vorstellung von Kraft, scharfem Geist und schwungvollem Flug. Die koreanische Komponistin Jieun Jun stellt in ihrer Komposition Catalogue d'(catalogue d'(oiseaux)) das Thema der Transkription und Transformation in den Mittelpunkt. Wie schon Macahis in ihrer Klanginstallation, fragt sie in anderer Weise wiederum nach dem Verhältnis des Vogelrufs zur Musik: Durch welche Prozesse wird der Vogelgesang zu einer Musik für Klavier? Was geschieht dabei mit dem Klavier — wandelt es sich vielleicht gar selbst zu einem neuen, irrealen Vogel? Der griechische Komponist Petros Leivadas schließlich scheint sich in seinem Consider the Birds selbst wie ein Vogel zu bewegen. Wie dieser sich schnell von hier nach dort bewegt, um etwas aufzupicken, so spielt Leivadas Stück mit verschiedenen Bruchstücken der Tradition, die mehr oder minder deutlich anklingen. Dies hat für ihn allerdings weniger einen spielerischen, sondern vielmehr einen existenziellen Hintergrund: So, wie die Vögel zu Boden fliegen, um zu fressen, so scheint sich das Stück zwischen einem spirituellen Oben und einem stofflichen Unten zu bewegen, oder vielleicht zwischen diesen Polen hin- und hergerissen zu werden. Die drei Stücke Messiaens aus dem Catalogue d'oiseaux, die Anfang, Mitte und Ende des Konzerts bilden, sprechen auch nach über fünfzig Jahren immer noch in einer großen Frische und Unverbrauchtheit zu uns. Ihre tiefe, manchmal abgrundtiefe Gegenwärtigkeit, Weite und Offenheit, die einer existenziellen Niedergeschlagenheit nicht nur benachbart ist, sondern aus ihr geradezu hervorgeht, neu erfahrbar zu machen, ist ein Anliegen dieses Konzerts. Zu der Uraufführung am 3. April 1959 schrieb Messiaen im Programmheft: In meinen dunklen Stunden, wenn ich plötzlich meine eigene Vergeblichkeit erkenne, wenn jedes musikalische Idiom — klassisch, orientalisch, alt, modern oder ultra-modern — mir nur mehr als erstaunliches, mühseliges Herumprobieren erscheint, ohne irgendwelche weitergehende Rechtfertigung, dann bleibt mir nichts als das wahre, verlorene Antlitz der Musik irgendwo draußen aufzusuchen, im Wald, in den Feldern, in den Bergen oder am Meer, unter den Vögeln. Joachim Heintz Förderer: Bitte hier folgende Logos einfügen (siehe Email-Anhang): a) Stiftung Niedersachsen b) Musikland Niedersachsen c) Kulturbüro der Stadt Hannover
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November 2023
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